FELDER

Schlachtfelder ohne Pathos

Wer sich den ehemaligen Schlachtfeldern ohne historisches Wissen annähert, käme erst gar nicht auf die Idee, nach Spuren zu suchen, weil diese von der Natur längst ausgelöscht sind. Deren Gleichgültigkeit ist unbesiegbar. Indem Kaluza die Felder umwandert und in ihrer Gänze fotografiert, gewinnen sie auch für uns ihre Neutralität zurück, die sich durch kein Vergessen erzielen lässt. Die Landschaft ist nicht mehr als eine Landschaft. Ihr haftet kein tieferer Sinn mehr an, und sie hat auch keine symbolische Aura. Angesichts ihrer Bedeutungslosigkeit hören wir Betrachter auf, etwas in sie hineinzugeheimnissen, was über das faktisch Existente hinausgeht. Die Art und Weise, wie Kaluza seinen komplettierenden Blick rund um die Schlachtfelder gleiten lässt, macht deutlich, dass es ihm nicht nur um eine Totalisierung der konkreten Wahrnehmung, sondern auch um die abstrakte Frage nach der Bedeutung geht. Was ist Bedeutung? Wie entsteht sie? Wo kommt sie her? Entspringt sie unserem Bewusstsein oder wird sie durch ein Ereignis geschaffen, das ins kollektive Gedächtnis übergeht? Ist Bedeutung nicht immer mit unserer Wertung der Vergangenheit verwoben und von daher von uns abhängig? Scheint sie nur in unserem Gedächtnis auf oder hinterlässt sie am Ort des Geschehens irgendeine Spur, deren Entzifferung auch in ferner Zukunft noch möglich ist? Diese Fragen nach der Genealogie und Archäologie der Bedeutung gehören zum Konzept dieser vom Schönheitsverlangen befreiten, Gedanken auslösenden Fotografie.

So sehr die Vergangenheit auch zitiert, wenn an die Schlachtfelder erinnert wird, so wenig kommt beim Bildstudium der Eindruck auf, Kaluza wolle die verlorene Zeit wiederbeleben. Er verhält sich nicht wie ein obsessiver Spurenleser, der die Vergangenheit aus der Gegenwart herausliest, sondern wie einer, der die Diskrepanz aufdeckt zwischen dem, was war, und dem, was ist. Es scheint so, als habe er sich auf diese ehemaligen Kampfgebiete gerade deshalb eingelassen, weil sie so sprachlos gegenüber dem sind, was sich auf ihnen einst ereignet hat, und weil ihre heutige Erscheinung keine lesbaren Zeichen mehr aufweist, die an das Damals anknüpfen. Erst dadurch, dass jeder von uns eine Ahnung oder ein Wissen von dem hat, was Waterloo, Verdun oder Seelow bedeuten, kommt es unweigerlich zu dem Widerspruch zwischen dem heutigen Anblick ehemaliger Kriegslandschaften, in denen in erster Linie nicht Siege errungen und Niederlagen erlitten, sondern vor allem Menschen in Massen umgebracht wurden, und deren bis heute anhaltenden, von Geschichtsbüchern übermittelten Ruf. Sie sind Teil einer abgeschlossenen Vergangenheit, von der die Landschaft nicht nur nichts mehr weiß, sondern auch nichts mehr in sich birgt. Die Trauer, die sich einst über die Felder ergoss, hat ein Ende gefunden. Das Sichtbare der landschaftlichen Weite, die einst von Leichen bedeckt war, hat aufgehört, Herberge des Unsichtbaren zu sein. Und wenn Kaluza mit seinen großformatigen Feldbildern formal eine Beziehung zur Idylle romantischer Landschaften behauptet, so wird auch da die große Diskrepanz zwischen der Bedeutung, die gesetzt wird, und der an sich bedeutungslosen Landschaft offenkundig.

Den ‚klassischen Schlachtfeldern‘ sieht man ihre tragische Geschichte heute nicht mehr an. Es obliegt daher der Kunst, einen stillen und besonderen Blick auf diese Orte zu werfen, nicht zuletzt, um einem möglichen Vergessen der dort stattgefundenen Schrecken vorzubeugen. Das Unsichtbare in den Bildern fordert die Phantasie des Betrachters und ruft unterschiedlichste Emotionen hervor.